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Und wenn die Inflation doch kein vorübergehendes Phänomen wäre?

Veröffentlicht am
25. November 2021
Lesezeit
4 Minuten Lesedauer

Es gibt ein alternatives Szenario, das aber noch eher unwahrscheinlich ist: das einer anhaltenden Inflation, die von einem allgemeinen Zinsanstieg begleitet wird. Für Anleger könnte dies erhebliche Auswirkungen haben, warnt Frédéric Leroux, Mitglied des strategischen Anlageausschusses von Carmignac.

Wie schätzen Sie die Inflationsentwicklung ein, also das Thema, das zurzeit Anleger, Sparer und Verbraucher bewegt?

Frédéric Leroux : Die Anleger gehen im Moment davon aus, dass die Inflation nur vorübergehender Natur sein wird. Allerdings gibt es ein alternatives Szenario, das sich auf den Preisanstieg beiderseits des Atlantiks seit der Wiederaufnahme des weltweiten Wirtschaftslebens und wahrscheinliche Lohnerhöhungen für bestimmte Berufsgruppen in den USA stützt. Die Inflation könnte sich nicht als vorübergehend, sondern als dauerhaft erweisen und von einem allgemeinen Zinsanstieg begleitet werden. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist zwar gering, aber die Auswirkungen für die Anleger wären beträchtlich.

Wieso?

F.L. : Wenn die anhaltende Disinflation enden sollte, wären wir gezwungen, die Anlegerreflexe abzulegen, die wir uns in den letzten Jahrzehnten angeeignet haben, und unsere Anpassungsfähigkeit an ein neues Umfeld unter Beweis zu stellen, denn es dürfte klar sein, dass ein solches Szenario Folgen für die Bewertung bestimmter Aktien, für den Goldpreis oder den Immobilienmarkt hätte. Aber wie ich schon sagte, ist dies ein alternatives Szenario. Damit es nicht eintritt, haben im Übrigen mehrere Zentralbanken – deren Aufgabe es ist, die Wirtschaftstätigkeit zu steuern – begonnen zu intervenieren.

Was haben sie unternommen, um die Inflationserwartungen der Anleger zu dämpfen?

F.L. : Mehrere Zentralbanken aus rohstoffexportierenden und Schwellenländern haben in den letzten Wochen bereits die Zinsen angehoben. Die US-Notenbank (Fed) hat eine Verringerung ihrer Anleihenkäufe angekündigt, mit denen sie vor mehreren Jahren begonnen hat, um die Wirtschaft zu unterstützen, und eine Anhebung ihrer eigenen Zinssätze im Verlauf des kommenden Jahres angedeutet. Ihr Präsident, Jerome Powell, hat klar zum Ausdruck gebracht, dass er auf keinen Fall die Finanzmärkte überraschen will, indem er schon im Voraus sagt, was die Fed vorhat und in welchem Umfang und Tempo sie dies umsetzen will.

Der Fed-Präsident hat oft wiederholt, dass die Inflation nur ein vorübergehendes Phänomen sei...

F.L. : Genau. Wenn man ihm zuhört, scheint es fast festzustehen, dass die wirtschaftliche Realität keine plötzlichen Überraschungen bereithält, die seine Pläne durchkreuzen oder die Anleger überraschen könnten. Wir wären gerne genauso überzeugt davon wie Fed-Präsident Powell. Festzustellen ist jedoch, dass nun Zweifel am „vorübergehenden“ Charakter der US-Inflation - die inzwischen 6 Prozent übersteigt - aufkommen, was mit den Lieferengpässen in mehreren Bereichen (Halbleiter, Arbeitskräfte usw.) und den geänderten Einstellungen gegenüber der Erwerbstätigkeit zusammenhängt.

Auf welche Haltungen spielen Sie an?

F. L. : Nachdem sie in den letzten 18 Monaten viel Geld angespart haben, dank des Anstiegs der US-Börse und der Immobilienpreise und weil sie sich „mehr Lebensqualität“ wünschen, hat eine gewisse Zahl von US-Privathaushalten nun vor, frühzeitig in Rente zu gehen, oder ein Mitglied des Haushalts beabsichtigt, die Erwerbstätigkeit ganz einzustellen oder weniger zu arbeiten. Und da das Angebot an gut bezahlten Stellen im Bereich seiner bisherigen Höchststände liegt, befinden sich die Arbeitnehmer bei Lohnverhandlungen (zum ersten Mal seit Jahrzehnten) in einer Machtposition, sodass der Aufwärtsdruck auf die Preise Bestand haben dürfte. Außerdem kommen noch zwei weitere potenzielle Inflationsfaktoren hinzu.

Welche?

F.L. : Zum einen haben manche Staaten die Kaufkraft der Privathaushalte in der Gesundheitskrise unmittelbar unterstützt, indem sie, wie beispielsweise die Trump-Regierung in den USA, ihnen Schecks schickten, wovon aber auch Personen profitierten, deren Konsumbereitschaft ohnehin schon hoch ist. Der zweite zusätzliche Inflationsfaktor ist die Forcierung der Energiewende, die wegen des Rückgangs der Investitionen in fossile Energien einen längeren Anstieg der Öl- und Gaspreise nach sich ziehen könnte, während es noch viele Jahre dauern wird, bis andere Energieträger die fossilen ganz ersetzt haben.

Dennoch haben die Anleger die Ankündigungen der Fed begrüßt...

F.L. : Das stimmt, aber vielleicht ist gerade das besorgniserregend. Trotz der sehr angespannten wirtschaftlichen Lage sind die Anleger der Meinung, dass die Wirtschaft immer noch auf dem gleichen Kurs wie seit mehreren Jahrzehnten ist; dieses durch eine strukturell niedrige Inflation ohne größere Schwankungen gekennzeichnete Umfeld gestattet, das Zinsniveau dauerhaft niedrig zu halten, was zur Aufnahme von Schulden und zu einem schwächeren Wachstumstempo beiträgt.

Wieso ist das besorgniserregend?

F.L. : Angesichts des hohen Standes der Verschuldung würde eine zu schnelle Zinsanhebung durch die Zentralbanken eine deutliche Verlangsamung der Weltkonjunktur nach sich ziehen. Im Fall einer zu schwachen oder zu langsamen Reaktion der Zentralbanken, wovon Anleger offenbar eher nicht ausgehen, könnte die Inflation dauerhaft auf einem hohen Niveau verharren. Und im Fall eines schwächeren weltweiten Wachstums würden die negativen Folgen einer hartnäckigen Inflation für die Finanzmärkte die positiven Effekte einer allmählichen Verlangsamung des Preisanstiegs übersteigen.

Welche Auswirkungen hat dies aus Ihrer Sicht vor dem aktuellen Hintergrund für die Aktienmärkte?

F.L. : Falls die Inflation, nachdem die aktuellen Lieferengpässe behoben sind, wieder nach und nach zurückgehen sollte, ohne dass das Wachstum einbricht, dürften die Aktienmärkte ihren Aufwärtstrend beibehalten, der nach wie vor auf Growth-Titeln mit guter Visibilität beruht . Falls es den Zentralbanken nicht gelingen sollte, die Situation in den Griff zu bekommen, und die Konjunktur sich stärker als erwartet verlangsamt, würden diese Growth-Titel mit guter Visibilität weiterhin von ihrer relativen Performance profitieren. Dann bräuchte es eine echte Rezession, damit die Werte mit dem defensivsten Profil - Unternehmen, deren Geschäfte am wenigsten unter einer Eintrübung des konjunkturellen Umfelds leiden - gut abschneiden.

Was würde im Fall einer anhaltenden Inflation passieren?

F.L. : Der Zeitraum, der sich am besten mit diesem Szenario vergleichen lässt, ist die Zeit der „Nifty Fifty“ von Mitte der 1960er- bis Anfang der 1970er-Jahre, als die erste Ölkrise (1973) dem Anstieg der Aktienmärkte ein Ende setzte. Ungefähr 1965 setzte ein allmählicher Inflationsanstieg ein, sodass auch die Zinsen stiegen, was aber nicht verhinderte, dass damalige interessante Growth-Aktien wie Digital Equipment (Technologie), Disney (Freizeit), Eli Lilly (Gesundheit), Kodak (Konsumgüter) oder General Electric (Industriekonglomerat) bis zu einem gewissen Punkt stark nachgefragt waren. Diese Aktien von rund 50 attraktiven Unternehmen, die mit der Inflation leben konnten, wurden als die „Nifty Fifty“ bezeichnet.

Auch das waren Growth-Aktien mit guter Visibilität ...

F.L. : Genau. Man sollte sich jedoch vor Augen halten, dass eine robuste Inflation zurzeit nur ein Alternativszenario ist. Dies wird so lange der Fall sein, wie es keine Bestätigung für eine starke längerfristige Lohninflation gibt. Die Kategorie der attraktiven Wachstumsunternehmen besitzt allerdings erhebliches relatives Wertpotenzial, denn ihr Geschäftsmodell macht durchaus den Eindruck, dass es mit allen Szenarien zurechtkommt, die man zurzeit erwarten kann.

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Quelle: Carmignac, Bloomberg, 12.11.2021

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