Die Hoffnung auf die Rückkehr einer beständig niedrigen Inflation von etwa 2,5% ist illusorisch. Die Dekarbonisierung der Wirtschaft und der Wandel unserer Einstellung zur Arbeit belasten das Angebot und fördern die Inflation: eine große Herausforderung für die Zentralbanken. Die anhaltend hohe Inflation und die dadurch ausgelöste Rückkehr des Konjunkturzyklus bieten aktiven Anlegern zahlreiche Chancen.
Der Rückgang der Inflation in den USA seit letztem Juni hat die Aktienmärkte in den vergangenen Monaten beflügelt. Die aus den Preisen von inflationsindexierten Anleihen abgeleiteten Inflationserwartungen deuten auf einen Rückgang auf rund 2,5% schon im Juni 2023 und eine anschließende Stabilisierung in den kommenden Jahren hin. Diese Erwartung entspräche einer dauerhaften Rückkehr des Marktumfelds der 2010er Jahre, als die inflationsbereinigten Nettorenditen Finanz- und Immobilienanlagen deutlich begünstigten und von passiv verwalteten Fonds mühelos abgeschöpft wurden. Wir rechnen nicht mit einem solchen Szenario.
Die Industrieländer stehen am Anfang einer inflationären Phase des langfristigen Konjunkturzyklus, in der das Angebot die Nachfrage nicht immer bedienen kann. Die schnelle Abfolge von durch strukturelle Kräfte angetriebenen Phasen mit inflationärem Wachstum und durch die Zentralbanken forcierten disinflationären Abschwüngen führt zu konjunktureller Zyklizität. Diese ist ungünstig für passiv verwaltete Fonds, aber günstig für mobilere Fonds und Themen, die durch das Verschwinden des Zyklus an Bedeutung verloren haben.
Neben strukturellen Faktoren, wie z. B. der demografischen Entwicklung und der geringeren Dynamik des Welthandels, stützt sich die Inflation auf zwei weitere Faktoren: die Dekarbonisierung der Volkswirtschaften und die veränderte Beziehung zur Arbeit.
Die Dekarbonisierung der Volkswirtschaften führt zu einem erheblichen Rückgang der Investitionen in fossile Energieträger und damit zu einem strukturellen Rückgang der Reserven sowie zu einem Anstieg der Energiepreise. In den vergangenen zehn Jahren wurden zwar mehrere Billionen US-Dollar in die Energiewende investiert, doch der Anteil fossiler Energieträger am weltweiten Energiemix ist im gleichen Zeitraum nur um etwas mehr als 1% auf nun 81% gesunken. Diese Situation bildet die Grundlage für eine Energiekrise in gleichem Ausmaß wie jene, die zur letzten großen inflationären Phase von 1965 bis 1980 beigetragen hat und durch den Ölpreisschock von 1973 verstärkt wurde. Wenig überraschend ist die Organisation erdölexportierender Länder (OPEC) der Auffassung, dass bis 2045 jährlich 1,5 Billionen US-Dollar statt wie bisher 1 Billion US-Dollar in die Entwicklung fossiler Energien investiert werden müssten, um die Energiesicherheit zu gewährleisten. Die Wahrheit mag irgendwo zwischen diesen beiden Zahlen liegen. Der Krieg in der Ukraine sollte uns jedoch nicht das strukturelle Energiedefizit vergessen lassen, das wir vergrößern.
Gleichzeitig dürfte die tiefgreifende Veränderung der Einstellung zur Arbeit, aus der sich kürzere Arbeitszeiten, weniger Arbeitskräfte sowie eine sehr große Mobilität der Arbeitnehmer und damit Produktivitätsverluste ergeben, höchstwahrscheinlich zu einem nachhaltigen Angebotsmangel führen. Die Unternehmen finden nicht genug Mitarbeiter, um der Nachfrage gerecht zu werden. Daher ist es wenig überraschend, dass es zu symbolträchtigen Gehaltssteigerungen kommt. So haben beispielsweise Inditex (Eigentümer von Zara) und Uniqlo Lohnerhöhungen von 20 bis 40% vorgenommen.
Das Zusammenspiel von Abschwung und unzureichendem Angebot wirkt preistreibend und stellt die Geldpolitik der Zentralbanken vor große Herausforderungen. So steht paradoxerweise den von der US-Notenbank in ungesehener Höhe und Geschwindigkeit beschlossenen Leitzinserhöhungen (475 Basispunkte in zehn Monaten) eine US-Arbeitslosenquote gegenüber, die auf dem niedrigsten Stand seit 1969 liegt.
Der Kampf gegen die Inflation mittels einiger weiterer Zinserhöhungen wird kurzfristig wohl erfolgreich sein. Sie dürften die für einen Preisrückgang erforderliche Rezession auslösen, da sie den Konsum schwächen; aber sie werden nicht das Angebotsdefizit beheben. Das geringere Arbeitskräfteangebot und der Anstieg der Energiepreise treffen in der Geld- und Haushaltspolitik nur auf sporadischen Widerstand, da die Akzeptanz schmerzhafter Maßnahmen in den Industrieländern stark gesunken ist. Die durch diese Politik zur Verringerung der Inflation ausgelösten Rezessionen werden somit kurz und schwach ausfallen – und nicht ausreichen, um die Inflation dauerhaft niedrig zu halten.
Unsere Anleihenfonds sind in der Lage, von den Renditen von Staats- und Unternehmensanleihen in einem Umfeld höherer Zinsen zu profitieren, Asymmetrien im Schwellenländeruniversum zu erkennen und das Gesamtexposure gegenüber Zinsen zu steuern. Im beschriebenen wirtschaftlichen Umfeld bietet dies erhebliche Vorteile.
Die erwartete Schwäche bei den Realzinsen dürfte die Aktienmärkte stützen und diese Sichtweise rechtfertigt ein bedeutendes Exposure in Gold. Aufgrund der sehr niedrigen Inflation in China kommt dem Land eine wichtige Rolle bei der Streuung von Anlagen zu.
Mit der Ausrichtung unseres Anlageprozesses auf die Inflation können wir optimal von den zahlreichen Gelegenheiten profitieren, die sich aus der Zyklizität ergeben, und uns gleichzeitig breiter aufstellen. Wir sollten die Inflation nicht fürchten, sondern sie zu unserer Verbündeten machen!
Glossar
Inflationsindexierte Anleihen: Anleiheemissionen, bei denen die Entwicklung der Zinszahlungen (Kupon) und des Rückzahlungsbetrags (Kapital) von der Inflationsentwicklung abhängen. Fossile Energien: Energie, die aus der Erdöl-, Erdgas- oder Kohleverfeuerung gewonnen wird. Produktivität: Verhältnis zwischen der Produktion von Gütern oder der Erbringung von Dienstleistungen und den dafür eingesetzten Ressourcen (Arbeit und Kapital).