Dezember 2018
Es nähern sich die letzten Wochen des Jahres 2018. Mittlerweile dürfte kaum ein Beobachter infrage stellen, dass wir an den Märkten eine Kollision zwischen dem Wirtschaftszyklus, dem geldpolitischen Zyklus und dem politischen Zyklus beobachten. (siehe Carmignac's Note von Dezember 2017, „Vergebliche Kassandrarufe?“, und von Juli 2018, „Kollisionskurs“).
Die Märkte passen sich jedoch selten nahtlos an ein neues Umfeld an. Möglicherweise wollen sie es zunächst nicht wahrhaben, wie es schon im letzten Januar der Fall war. Dann jedoch kommt es zu überstürzten Korrekturen wie im Februar oder Oktober. Dies macht es sehr schwierig, selbst eine prinzipiell korrekte strategische Vision effektiv umzusetzen. Das Jahr 2018 wird unter diesem Gesichtspunkt ein besonders enttäuschendes und frustrierendes Jahr für das Fondsmanagement bleiben.
Trotz allem ist eine globale Analyse nach wie vor die Grundvoraussetzung, um das Verhalten der Märkte zu antizipieren. Nun ist es an der Zeit, diese auf 2019 auszuweiten. Das Kollisionsschema ist nicht hinfällig, nur weil ein neues Kalenderjahr begonnen hat. Andererseits dürften dessen Auswirkungen auf die Zins-, Aktien- und Devisenmärkte unterschiedlicher sein. Hieraus ergibt sich eine grundsätzlich vorsichtige Haltung über alle Anlageklassen hinweg, aber auch interessantes Aufholpotential.
Erinnern wir uns an die „unerwünschten Folgen“, von denen in der Carmignac's Note von 2016, „Die Schlafwandler“, die Rede war. Dieser Begriff der unerwünschten gesundheitlichen Folgen – auch Iatrogenie genannt – bezieht sich auf Mittel, die dem Patienten zunächst helfen, aber langfristig unvermeidlich Nebenwirkungen hervorrufen, die wiederum die Gesundheit des Patienten beeinträchtigen. Das Jahr 2018 markierte den Eintritt dieser Nebenwirkungen. Sie resultieren aus langen Jahren der Abhängigkeit der Märkte und drücken sich in den Kosten für die subventionierte Verschuldung aus. Es wurde für die Zentralbanken Zeit, für die Märkte ein Ende der Liquiditätsflut einzuleiten.
Die Stärkung des Dollars oder die von der US-Notenbank initiierte Zinsanhebung sind Teil dieser Nebenwirkungen und lenken die Aufmerksamkeit der Beobachter auf sich. In dieser Phase des Zyklus sind sie aber nichts Außergewöhnliches. Eine der größten iatrogenen Auswirkungen ist die Verringerung der Bilanz der Fed, die seit Ende 2008 um rund 3.600 Milliarden aufgebläht wurde. Wie sich die 50 Milliarden Dollar Liquidität, die jeden Monat aus dem Finanzsystem abgezogen werden, auswirken ist komplex. Es wird wohl eben so unterschätzt wie auch vor zehn Jahren unterschätzt wurde, was eine jahrelange quantitative Lockerung verursachen würde.
Das Jahr 2018 hat bereits gezeigt, dass diese Verringerung der verfügbaren Dollar-Menge in Verbindung mit der Steuerreform der Trump-Regierung, die auf eine Rückführung von Kapital abzielt, die in Schwellenländern gehaltenen Dollar buchstäblich in die USA abgesaugt hat. Allein dieser Effekt ist für einen Großteil der starken Korrektur an den Aktien- und Anleihemärkten in Lateinamerika und Asien verantwortlich.
Im Allgemeinen sind das Wachstum und insbesondere der Welthandel ebenfalls sehr stark von der Verfügbarkeit von Liquidität in Dollar abhängig. Die Fed kann gewissermaßen als die Zentralbank des globalen Wachstums bezeichnet werden. China erlebt logischerweise bereits eine deutliche Verlangsamung seiner Exporte. Und dies noch bevor die sich zuspitzenden protektionistischen Maßnahmen, denen es ausgesetzt ist, möglicherweise die Kollision verschärfen, sobald der in Buenos Aires geschlossene Waffenstillstand beendet ist. Diese Verlangsamung kommt neben dem zwingend erforderlichen Schuldenabbau noch zur strukturelleren Verlangsamung der chinesischen Wirtschaft hinzu.
Die Indikatoren für das europäische Wachstum, die stark mit dem Welthandel verknüpft sind, vollzogen unterdessen eine Kehrtwende. Auch der Rückgang des Verbrauchervertrauens in Frankreich wird nicht zur Belebung der Binnennachfrage beitragen.
Die amerikanische Ausnahme scheint zunehmend verwundbar. Diese Fragilität liegt in erster Linie daran, dass die Fed-Bilanz schrumpft und durch den wachsenden Finanzierungsbedarf das Haushaltsdefizit der Trump-Regierung explodiert. Diese weitere Kollision schob die 10-jährigen US-Zinsen von 2,4 Prozent zu Beginn des Jahres auf Spitzenwerte von über 3,2 Prozent im Oktober und November. Es trieb widerum die Hypothekenzinsen nach oben und verlangsamte somit die Wohnungsbauinvestitionen. Jüngst wurde in dieser Massenkarambolage auch noch der Vermögenseffekt auf den Konsum verwickelt. Es handelt sich dabei um eine der wichtigsten Transmissionsriemen der quantitativen Lockerung in die Realwirtschaft. Da in den Immobilien- und Aktienmärkten mittlerweile reichlich Sand im Getriebe ist, läuft aber auch das nicht mehr rund. Zu guter Letzt gingen die Investitionen von US-Unternehmen im dritten Quartal zurück. Sie sind deutlich verunsichert, was die Handelsspannungen mit China angeht.
Der globale Konjunkturzyklus kollidiert also in einer Phase des Abschwungs mit der geldpolitischen Normalisierung, was ihn noch weiter schwächt.
Zu dieser Problematik kam der politische Zyklus hinzu. Von Brasilien bis nach Europa, von Großbritannien bis in die Vereinigten Staaten: Es rollt eine Protestwelle über die Länder hinweg, die die wirtschaftliche Globalisierung und den Freihandel infrage stellen. Alles Faktoren, die seit 30 Jahren das weltweite Wachstum und die Margen der internationalen Konzerne gestützt hatten.
Zugleich setzt sich insbesondere in Europa die Polarisierung der Meinungen fort. Aufgrund eines oftmals sehr fragmentierten, traditionellen Politikangebots geraten die repräsentativen Demokratien unter Druck und werden zunehmend durch unmittelbaren und konfrontationsafinen politischen und gesellschaftlichen Grolls blockiert. Letzterer wendet sich zunehmend gegen den seit 2008 in Stein gemeißelten Grundsatz der Haushaltsdisziplin. Dieser Protest, der bereits in den Vereinigten Staaten zu beobachten war, erstreckt sich nunmehr bis nach Italien und wird wahrscheinlich eine der Konsequenzen der derzeitigen gesellschaftlichen Spannungen in Frankreich sein. An den Anleihemärkten begünstigt sie den Aufwärtsdruck auf die Zinsen der Staatsanleihen. An den Aktienmärkten deutet sie, zumindest in Europa, eine Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik zugunsten der Arbeitnehmer und nicht zugunsten des Kapitals an.
Das Ende der Gewissheit der geldpolitischen Stützung führt natürlich zu einem Wiederanstieg der Risikokosten und damit auch zu einer Verringerung der Bewertungskennzahlen der Aktienmärkte
Mit dem Ende der Gewissheit, was den geldpolitischen Kurs angeht, wurde 2018 logischerweise eine Phase mit geringerer Risikobereitschaft eingeläutet. Durch das regelmäßige und umfangreiche Kaufen von Vermögenswerten durch die Zentralbank wurde die Volatilität an den Märkten quasi ausgesetzt. Das hat die Risikobereitschaft gefördert. Die Rückkehr zur Ungewissheit – oder vielmehr zur Gewissheit, dass nunmehr weniger Liquidität verfügbar ist – führt logischerweise zu einem Wiederanstieg der Risikokosten und damit auch zu einer Verringerung der Bewertungskennzahlen der Aktienmärkte sowie zu einer Weitung der Spreads. Das Jahr 2019 beginnt mit der Fortsetzung dieser Dynamik.
Eines der Hauptrisiken für die Aktienmärkte besteht – vielleicht noch mehr für die Vereinigten Staaten als für Europa – darin, dass sich der wirtschaftliche Abschwung auf die Unternehmensgewinne auswirken wird. Das wird durch den Grad der in den letzten zehn Jahren aufgelaufenen Verschuldung verstärkt. Auch am Markt für Unternehmensanleihen macht der zyklische Anstieg der Ausfallraten in Verbindung mit dem tendenziellen Anstieg der risikofreien Zinssätze den Bereich „Investment Grade“, dessen Erträge kaum noch einen Ausgleich für das Kreditrisiko bieten, sehr anfällig.
Für die anfälligsten Länder könnte die Staatsverschuldung die Herausforderungen, die ein wirtschaftlicher Abschwung mit sich bringt, noch verschärfen. Es besteht daher das Risiko, dass Märkte und Ratingagenturen schlecht bewerten, wie tragfähig das italienische Verschuldungsniveau ist, falls das Land einen starken Abschwung erlebt. Auf der anderen Seite sollte die Zinsverschiebung bei traditionellen Safe-Haven-Staatsanleihen durch bestätigte Spannungen auf die Risikokosten begrenzt werden.
Es wird eine Zeit kommen, in der die Zentralbanken die weiße Fahne hissen und auf eine weitere geldpolitische Normalisierung verzichten. Zu diesem Zeitpunkt wird die Aussicht auf eine Rückkehr zu einer Reflationspolitik Risikoanlagen und sicherlich in erster Linie den nach Liquidität dürstenden Schwellenländern zugute kommen.
Irgendwann werden die Zentralbanken die weiße Fahne hissen müssen
Es ist plausibel, dass es im Jahr 2019 dazu kommt. Allerdings ist das schwer vorstellbar, ohne dass die Zentralbanken durch eine starke Verschärfung der finanziellen Rahmenbedingungen in die Enge getrieben werden. Eine solche Verschärfung könnte durch eine übermäßige Marktkorrektur verursacht werden, die dann durch eine allgemeine Kapitulation attraktive Einstiegspunkte bieten würde.
In der Zwischenzeit dürfte sich das Kollisions-Szenario fortsetzen, unterbrochen von Phasen der Entspannung. Daher sind 2019 vor dem Hintergrund einer grundsätzlich vorsichtigen Haltung Wachsamkeit und Opportunismus geboten.
Quelle: Bloomberg, 30/11/2018