Wie wir in Carmignac’s Note vom Januar bereits angedeutet haben, „könnte 2021 ein komplexeres Jahr für die Märkte werden, als offenbar allgemein angenommen wird“. Diese Warnung bestätigt sich nun im März, denn die Märkte werden sich langsam bewusst, welches Risiko eine Fortsetzung des laufenden Anstiegs der langfristigen Zinsen, insbesondere in den USA, für sie bedeuten könnte. Angesichts der Tatsache, dass die Zinsen leider manchmal ihre anfängliche Entwicklung plötzlich beschleunigen, halten wir es für angebracht, bereits jetzt unsere Sichtweise dieses Themas zu erläutern. Erfahrungsgemäß ist ein Zinsanstieg in der Regel in seiner Anfangsphase ein eher positives Signal an die Aktienmärkte: Er signalisiert eine Konjunkturerholung, während noch keine erhebliche Verteuerung der Kapitalkosten droht. Für diese Analyse spricht derzeit das absolute Niveau der Zinsen, die noch weit unter den Ständen liegen, die aus historischer Sicht problematisch für die Bewertung von risikoreichen Anlagen sind. Diese Faktoren sind einer der Hauptgründe dafür, dass an den Aktienmärkten trotz der Volatilität an den Anleihemärkten bisher große Gelassenheit herrschte. Dort sind die Renditen von 10-jährigen US-Treasuries innerhalb von nur zwei Monaten von 0,9 auf 1,47 Prozent hochgeschnellt, während der Aktienindex MSCI World im gleichen Zeitraum erneut über 4 Prozent gutmachte. Wenn man sich jedoch den Hintergrund etwas genauer anschaut, kommt man zu einer komplexeren Beurteilung der zukünftigen Entwicklung.
Wie wir in unserer Januar-Note schon erläutert haben, wird das Zusammentreffen von historisch günstigen Haushalts- und Geldpolitiken, einem außerordentlichen Basiseffekt und immer optimistischer stimmenden Fortschritten bei Impfstoffen 2021 zumindest in den USA ein Wachstumstempo zur Folge haben, das zu den höchsten seit den 1980er-Jahren gehört. Daher ist es kein Wunder, wenn vor dem Hintergrund einer optimistischen Fundamentalanalyse zahlreiche, durch die im Überfluss vorhandene Liquidität aufgeblähte Spekulationsgeschäfte die Aktienmärkte auf immer neue Höchststände steigen ließen. Ebenso wenig überrascht es, dass das erhöhte Inflationstempo, das in wenigen Wochen durch den Basiseffekt weiter zunehmen wird (nachdem es Anfang 2020 aufgrund des drastischen Rückgangs des privaten Verbrauchs und des Rohölpreises am Boden war), bisher lediglich als eine glückliche Folge der ersehnten wirtschaftlichen „Normalisierung“ betrachtet wurde. Der Inflationsanstieg wird die Realzinsen (Nominalzinsen minus die Inflation) entsprechend sinken lassen, sodass gleichzeitig die Schuldenlast tragfähiger und Aktien noch attraktiver werden. Angesichts negativer Realzinsen und der Fortsetzung der quantitativen Lockerung im gleichen Tempo, was sich bei einem Wirtschaftswachstum von 5 bis 6 Prozent immer weniger rechtfertigen lässt, stellt sich also die Frage, wann die Zentralbanken zum Spielverderber werden, indem sie eine Straffung ihrer Geldpolitik ankündigen.
Indem sie die langfristigen Realzinsen in die Höhe treiben, signalisieren die Anleger der Fed, dass Untätigkeit steigende Kosten hat
In seiner Rede vor dem US-Senat am 23. Februar bestätigte Fed-Präsident Jerome Powell, dass er vorerst keineswegs die Absicht hat, die Geldpolitik zu straffen (nach dieser guten Nachricht setzten die Aktienmärkte, an denen an den Vortagen eine gewisse Besorgnis geherrscht hatte, ihren Aufwärtstrend fort). Mit dieser Botschaft bestätigte er sein Inflationsziel, das er beim traditionellen jährlichen Notenbanker-Treffen in Jackson Hole formuliert hatte: Entscheidend ist nun nicht mehr der unmittelbare Stand der Inflation, sondern der langfristige Durchschnitt. Mit anderen Worten: Selbst wenn das unmittelbare Inflationsniveau in den nächsten Monaten vor allem dank des Basiseffekts deutlich steigen sollte, würde die Fed gemäß ihrer neuen Doktrin untätig bleiben. Dennoch zogen die Anleiherenditen nur wenige Tage später wieder an, was an den Aktienmärkten nicht spurlos vorbeiging.
Diese Unruhe lässt sich mit der abwartenden Haltung erklären, die die Fed trotz des allgemeinen Optimismus bewusst an den Tag legt und die nun befürchten lässt, dass die Fed, falls das starke Wachstum der US-Wirtschaft über 2021 hinaus anhalten sollte, gezwungen sein wird, umso schneller eine geldpolitische Straffung einzuleiten, um eine Überhitzung zu vermeiden. Denn ein schnellerer Anstieg der langfristigen Zinsen bedeutet, dass nicht nur die mittelfristigen Inflationserwartungen gestiegen sind, sondern auch die Erwartungen an die Realzinsen (über die Inflation hinaus). Darüber hinaus fällt auf, dass die Fed zurzeit ein Wirtschaftswachstum in den USA von „nur“ 4,2 Prozent in diesem Jahr erwartet. Dieser Wert liegt aus unserer Sicht weit unter dem tatsächlich zu erwartenden Wachstum. Sie scheint weitgehend zu ignorieren, dass das Repräsentantenhaus bereits ein 1,9 Billionen Dollar schweres Nothilfepaket verabschiedet hat, zu dem wahrscheinlich bald ein ähnlich großes Infrastrukturpaket hinzukommt, und dass der private Verbrauch wahrscheinlich anziehen wird, wenn in den USA demnächst Herdenimmunität gegen das Coronavirus besteht. Falls die Fed im weiteren Jahresverlauf einräumen sollte, dass sie die Lage unterschätzt hat, hätte sie die Möglichkeit, die Abkehr von ihrer abwartenden Haltung zu rechtfertigen. Mit anderen Worten: Indem sie die langfristigen Realzinsen jeden Tag ein bisschen mehr in die Höhe treiben, signalisieren die Märkte der Fed, dass Untätigkeit steigende Kosten hat.
US-Präsident Joe Biden, gestützt auf eine absolute Mehrheit im Kongress, vollendet die Zerstörung der alten Wirtschaftspolitik, indem er ein beispielloses Konjunkturprogramm auflegt
Die zehn Jahre nach der Weltfinanzkrise von 2008 waren von äußerst lockeren Geldpolitiken geprägt, während die Haushaltspolitik sehr zurückhaltend blieb, weil sie von einer als gegeben betrachteten orthodoxen Finanzpolitik eingeschränkt wurde. Das Ergebnis waren mäßige Wachstumsraten der Wirtschaft und folglich nur geringe Lohnsteigerungen, aber andererseits auch rasant steigende Finanzanlagen dank niedriger Zinsen. Die Krise von 2020 brachte zum ersten Mal die Politik der Regierungen ins Wanken, da sie zu einer radikalen Abkehr von der Haushaltsdisziplin gezwungen waren (siehe unsere Note vom Januar „Das Virus und der Rubikon“). Schließlich vollendete der neu gewählte US-Präsident Joe Biden, gestützt auf eine absolute Mehrheit im Kongress, die Zerstörung der „alten“ Politik, indem er ein beispielloses Konjunkturprogramm auflegte, das ausdrücklich auf reales Wachstum und die Verringerung der sozialen Ungleichheit ausgerichtet ist. Mit anderen Worten: Als die Wirksamkeit und die gesellschaftliche Akzeptanz der ausschließlich auf der Geldpolitik beruhenden Krisenbewältigung an ihre Grenzen stießen, wurde die Haushaltspolitik zur neuen Allzweckwaffe der Wirtschaftspolitik erhoben. Dieser Richtungswechsel löste zunächst einen Anstieg der Inflationserwartungen aus (da die Verbraucher nun von Unterstützungsmaßnahmen profitieren), die den Anstieg der Anleihemärkte deutlich begrenzten, was den Aktienmärkten zugutekam. Aber seit ein paar Wochen hat an den Anleihemärkten ein Anstieg der langfristigen Realzinsen eingesetzt, weil die Erwartung besteht, dass die Fed auf längere Sicht gezwungen wird, ihre Geldpolitik zu straffen. Da dieser Zustand natürlich weitaus ungünstiger für die Aktienmärkte ist, traten dort kurz vor Ende Februar die ersten Risse auf. Es lässt sich noch nicht sagen, ob die Korrektur der Anleihemärkte schlussendlich bedeutet, dass Ökonomen für die Zeit nach 2021 ihren Optimismus verlieren. Aber vorerst mahnt der Richtungswechsel der Finanzmärkte zur Vorsicht auf den Zins- und Aktienmärkten.
Eine seit Jahrzehnten eingespielte Marktordnung lässt sich nicht ohne Weiteres umkehren. Es ist normal, wenn ihr ein Anstieg der Volatilität vorausgeht. Dies ist an den Anleihemärkten bereits der Fall, und es ist nur eine Frage der Zeit, wann die Aktienmärkte folgen. Aus diesem Grund haben wir in den letzten Wochen die Risiken in unseren Anleihe- und Aktienportfolios durch die Bank zurückgefahren, indem wir vor allem die Nasdaq, aber auch langfristige US-Zinsen absicherten. Gleichzeitig wird für ein effektives Wirtschaftswachstum, das über die Erholung von 2021 hinausgeht, noch viel haushaltspolitische Unterstützung notwendig sein, deren Umfang aber wegen der Korrektur der Anleihemärkte begrenzt sein könnte. Daher achten wir sorgfältig darauf, neben Titeln, die von der Wiedereröffnung der Volkswirtschaften profitieren, auch Wachstumstitel zu halten, bei denen wir davon überzeugt sind, dass ihre Gewinnvisibilität und ihre Preismacht im Fall eines Inflationsanstiegs wertvolle Vorteile für jedes Szenario darstellen.